Warum Software frei sein sollte
von Richard StallmanDie Existenz von Software wirft unvermeidlich die Frage auf, wie Entscheidungen über ihre Verwendung getroffen werden sollten. Man denke nur an jemanden, der ein Exemplar eines Programms besitzt und jemand anderes trifft, der es auch gerne haben möchte. Das Programm zu kopieren ist einfach; wer aber sollte darüber entscheiden, ob es kopiert wird? Die beteiligten Personen? Oder eine andere Partei, der so genannte „Eigentümer“?
Softwareentwickler betrachten diese Frage gewöhnlich unter der Annahme, dass das entscheidende Kriterium der maximale Gewinn des Entwicklers ist. Die politische Macht der Wirtschaft hat die Regierung dazu gebracht, nicht nur das Entscheidungskriterium, sondern auch die Antwort der Entwickler zu übernehmen: ein Programm hat einen Eigentümer, meist ein Unternehmen, das für dessen Entwicklung zuständig ist.
Ich möchte die selbe Frage anhand eines anderen Kriteriums betrachten: dem Wohlstand und der Freiheit aller in der Gesellschaft.
Die Antwort kann nicht durch geltendes Recht gegeben werden ‑ Gesetze sollten ethischen Prinzipien entsprechen, nicht anders herum. Auch die gängige Praxis kann diese Frage nicht entscheiden, wenn sie auch mögliche Antworten vorschlagen mag. Um diese Frage zu entscheiden, muss man vielmehr betrachten, wer von der Anerkennung von Software-„Eigentümern“ profitiert und wer darunter leidet, in welchem Maße und aus welchen Gründen. Mit anderen Worten: es geht um eine Kosten-Nutzen-Analyse für die Gesellschaft als Ganzes, die die individuelle Freiheit ebenso berücksichtigt wie die Produktion von Sachgütern.
In dieser Abhandlung werde ich die Auswirkungen beschreiben, Eigentümer zu haben, und zeigen, dass die Ergebnisse schädlich sind. Meine Schlussfolgerung ist, das Programmierer die Pflicht haben, andere zu ermutigen, die Software zu teilen, weiterzuverbreiten, zu untersuchen und zu verbessern: mit anderen Worten, Freie Software zu schreiben.(1)
Wie Eigentümer ihre Macht rechtfertigen
Die Profiteure des heutigen Systems von proprietärer Software untermauern ihr Recht auf Eigentum an Programmen mit zwei Argumenten: dem emotionalen Argument und dem ökonomischen Argument.
Das emotionale Argument hört sich etwa so an: „Ich habe meine Schweiß, mein Herzblut, meine Seele in dieses Programm gesteckt. Es kommt von mir, deshalb ist es mein!“
Dieses Argument fordert keine ernsthafte Widerlegung. Das Gefühl der emotionalen Bindung wird von Programmierern immer dann kultiviert, wenn es passt; es ist nicht unausweichlich. Man denke nur daran, wie willig der selbe Programmierer seine Rechte gegen Bezahlung an eine große Firma überträgt ‑ mit einem Mal verschwindet die emotionale Bindung auf mysteriöse Art und Weise. Im Gegensatz dazu denke man an die großen Künstler und Handwerker des Mittelalters, die noch nicht einmal ihren Namen unter ihre Arbeit setzten. Der Name des Künstlers war für sie nicht wichtig. Von Bedeutung war einzig die vollbrachte Arbeit ‑ und der Zweck, dem sie dienen würde. Diese Sichtweise herrschte über Jahrhunderte vor.
Das ökonomische Argument hört sich etwa so an: „Ich möchte reich werden (oft ungenau mit ,den Lebensunterhalt sichern’ umschrieben), und wenn du mir nicht erlaubst, durch programmieren reich zu werden, dann werde ich nicht mehr programmieren. Da alle wie ich sind, wird niemand mehr programmieren. Und gänzlich ohne Programme bist du verloren.“ Diese Drohung wird oft als der freundliche Hinweis eines Weisen verschleiert.
Ich werde später erklären, warum diese Drohung ein Bluff ist. Zuerst möchte ich eine unausgesprochene Annahme benennen, die in einer anderen Formulierung des Argumentes sichtbarer wird.
Diese Formulierung beginnt mit dem Vergleich des sozialen Nutzens von proprietärer Software mit dem sozialen Nutzen von gar keiner Software und dann folgt die Schlussfolgerung, dass die Entwicklung von proprietärer Software im Großen und Ganzen nützlich ist und unterstützt werden sollte. Der Trugschluss ist, dass hier nur zwei Ergebnisse betrachtet werden und man annimmt, dass es keine weiteren Möglichkeiten gibt.
In Anbetracht eines Urheberrecht-Systems für Software ist Softwareentwicklung gewöhnlich mit der Existenz eines Eigentümers verbunden, der die Verwendung der Software kontrolliert. So lange wie diese Verbindung besteht, haben wir oft nur die Wahl zwischen proprietärer und gar keiner Software. Diese Verbindung ist jedoch weder naturgegeben noch unvermeidbar; sie ist die Folge einer bestimmten gesellschaftlichen bzw. gesetzlichen Entscheidung, die wir in Frage stellen: der Entscheidung, Eigentümer zu haben. Wenn man die Wahl auf proprietäre Software oder keine Software beschränkt, weicht man der eigentlichen Frage nur aus.
Das Argument gegen Eigentum an Software
Die relevante Frage ist: „Sollte die Entwicklung von Software mit der Anerkennung von Software-Eigentümern verbunden sein, die ihren Gebrauch beschränken können?“
Um das zu entscheiden, müssen wir die Auswirkung beider Aktivitäten auf die Gesellschaft unabhängig voneinander beurteilen: die Auswirkung der Entwicklung von Software (unabhängig von ihrer Art der Verbreitung) und die Auswirkung der Beschränkung ihrer Nutzung (angenommen die Software wurde entwickelt). Wenn eine dieser Aktivitäten hilfreich und die andere schädlich ist, dann sollten wir die Verbindung von beiden Aktivitäten aufheben und nur das Hilfreiche tun.
Anders ausgedrückt, wenn die Beschränkung der Verbreitung von bereits entwickelter Software schädlich für die Gesellschaft als Ganzes ist, dann wird ein ethischer Softwareentwickler diese Beschränkung zurückweisen.
Um die Wirkung der Beschränkung gemeinsamer Nutzung zu ermitteln, müssen wir den Wert eines eingeschränkt verfügbaren (also proprietären) Programms mit dem Wert vergleichen, den dasselbe Programm hat, wenn es allen frei zur Verfügung steht. Das bedeutet zwei mögliche Welten zu vergleichen.
Diese Analyse richtet sich auch gegen das simple Gegenargument, welches sagt, dass „der Nutzen für den Nächsten, dem man eine Kopie eines Programms gibt, aufgehoben wird durch den Schaden, den der Eigentümer erleidet.“ Dieses Gegenargument geht davon aus, dass Schaden und Nutzen die gleiche Größenordnung haben. In dieser Analyse werden die Größenordnungen verglichen und gezeigt, dass der Nutzen viel größer ist.
Um dieses Argument zu erhellen, können wir es in einem anderen Gebiet anwenden: Straßenbau.
Es wäre möglich, alle Straßen durch Maut zu finanzieren. Das würde Mautstationen an jeder Straßenecke nach sich ziehen. Ein solches System würde einen enormen Anreiz für den Ausbau von Straßen liefern. Es hätte außerdem den Vorteil, dass jeder nur für die von ihm selbst genutzten Straßen zahlt. Dennoch ist eine Mautstation eine künstliche Behinderung flüssigen Fahrens ‑ künstlich, weil sie keine Folge davon ist, wie Straßen oder Autos funktionieren.
Vergleicht man den Nutzen freier Straßen mit dem von (ansonsten gleichen) Mautstraßen, sehen wir, dass Straßen ohne Mautgebühren billiger zu bauen, billiger zu unterhalten und sicherer und effizienter im Gebrauch sind.(2) In armen Ländern können viele Bürger die Mautstraßen nicht benutzen. Die Straßen ohne Mautstellen sind folglich nützlicher für die Gesellschaft bei weniger Kosten; sie sind also für die Gesellschaft vorzuziehen. Deshalb sollte sich die Gesellschaft entscheiden, Straßen auf andere Weise zu finanzieren als durch Mautstationen. Die Benutzung von Straßen sollte, wenn sie einmal gebaut sind, frei sein.
Wenn die Befürworter lediglich Mautstationen als Mittel zur Finanzierung vorschlagen, verschleiern sie die möglichen Alternativen. Mautstationen können Straßen finanzieren, aber sie bewirken noch etwas anderes: sie werten die Straße ab. Eine Mautstraße ist nicht so gut wie eine freie Straße; mehr oder technisch bessere Straßen sind vielleicht gar keine Verbesserung, wenn dabei freie Straßen durch Mautstraßen ersetzt werden.
Natürlich kostet der Bau von freien Straßen Geld, welches die Allgemeinheit irgendwie zahlen muss. Trotzdem bedeutet das nicht, dass Mautstationen unvermeidbar sind. Wir, die so oder so zahlen müssen, erhalten mehr für unser Geld, wenn wir für freie Straßen zahlen.
Ich sage nicht, dass eine Mautstraße schlechter als überhaupt keine Straße ist. Das wäre nur dann wahr, wenn die Maut so hoch wäre, dass kaum jemand sie zahlen könnte ‑ doch das wäre eine wenig plausible Politik für einen Mautbetreiber. So lange Mautstationen Verschwendung und Unannehmlichkeiten verursachen, ist es jedenfalls besser, Straßen auf eine weniger hinderliche Art zu finanzieren.
Um dieses Argument auf die Softwareentwicklung zu übertragen, werde ich jetzt zeigen, dass „Mautstationen“ für nützliche Software die Gesellschaft teuer zu stehen kommen: sie machen die Entwicklung von Programmen teurer, ihren Vertrieb teurer, und ihren Gebrauch weniger zufriedenstellend und effizient. Daraus folgt, dass Softwareentwicklung auf andere Art gefördert werden sollte. Anschließend werde ich andere Methoden der Förderung und (soweit tatsächlich notwendig) Finanzierung von Softwareentwicklung zu zeigen.
Der Schaden durch das Beschränken von Software
Nehmen wir einmal an, dass ein Programm entwickelt wurde und alle nötigen Zahlungen für seine Entwicklung geleistet wurden; jetzt muss die Gesellschaft entscheiden, ob sie es zum Eigentum erklären oder freies Teilen und Verwenden erlauben will. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Existenz des Programmes und seine Verfügbarkeit nützlich sind.(3)
Beschränkungen der Verbreitung und Veränderung von Programmen werden ihren Gebrauch nicht erleichtern. Sie können nur stören. Also kann die Wirkung nur negativ sein. Aber wie sehr? Und auf welche Weise?
Drei verschiedene Ebenen materiellen Schadens ergeben sich aus dieser Behinderung:
- Weniger Menschen benutzen das Programm.
- Kein Nutzer kann das Programm anpassen oder Fehler beheben.
- Andere Programmierer können nicht aus dem Programm lernen oder ihre Arbeit auf ihm aufbauen.
Jede Ebene materiellen Schadens hat als Begleiterscheinung Formen psychosozialen Schadens. Dieser bezieht sich auf die Auswirkungen, die Entscheidungen von Menschen auf ihre Gefühle, Haltungen und Neigungen haben. Diese Veränderungen des Denkens haben wiederum Auswirkungen auf die Beziehungen zu ihren Mitbürgern und unter Umständen auch materielle Folgen.
Die drei Ebenen materiellen Schadens verschwenden einen Teil des Wertes, den das Programm beitragen könnte, ohne ihn jedoch auf Null zu reduzieren. Wenn sie fast den gesamten Wert des Programms verschwenden, dann schädigt das Schreiben des Programms die Gesellschaft höchstens durch die Mühe, die für das Schreiben des Programms notwendig war. Naheliegenderweise muss ein Programm, dass profitabel verkauft werden soll, unterm Strich einen direkten materiellen Vorteil bieten.
Wenn man jedoch auch die psychosozialen Begleiterscheinungen berücksichtigt, dann gibt es keine Grenze für den Schaden, den proprietäre Softwareentwicklung anrichten kann.
Behinderung der Programmnutzung
Die erste Ebene des Schadens behindert den einfachen Gebrauch eines Programms. Eine Kopie eines Programms kostet praktisch nichts (und man trägt diese Kosten selbst, wenn man das Programm kopiert), in einem freien Markt würde es also fast nichts kosten. Eine Lizenzgebühr hält viele Nutzer davon ab, ein Programm zu verwenden. Wenn ein allgemein nützliches Programm proprietär ist, werden weit weniger Menschen es verwenden.
Man kann leicht zeigen, dass der Gesamtnutzen eines Programms für die Gesellschaft durch die Übertragung an einen Eigentümer reduziert wird. Jeder potentielle Nutzer des Programms, der mit der Notwendigkeit zu zahlen konfrontiert wird, wird sich entweder entscheiden zu zahlen oder möglicherweise auf die Nutzung des Programms verzichten. Wenn der Nutzer sich für das Bezahlen entscheidet, beteiligt er sich an einen Nullsummentransfer von Wohlstand zwischen zwei Parteien. Aber wenn jemand entscheidet auf das Programm zu verzichten, dann schädigt er sich selbst, ohne dass jemand einen Vorteil davon hätte. Die Summe von negativen Beträgen und Null muss negativ sein.
Aber das verringert nicht die Menge an Arbeit, die benötigt wurde, um das Programm zu entwickeln. Dadurch wird die Effektivität des gesamten Vorganges gemessen in Nutzerzufriedenheit pro Stunde Arbeit verringert.
Das widerspiegelt einen entscheidenden Unterschied zwischen Kopien von Programmen und Autos, Stühlen oder belegte Brötchen. Es gibt keine Kopiermaschine für materielle Gegenstände außerhalb der Science Fiction. Programme sind dagegen leicht zu kopieren; jeder kann so viele Kopien produzieren wie gewünscht, mit sehr wenig Aufwand. Das trifft nicht auf Gegenstände zu, denn Materie bleibt erhalten: jedes weitere Exemplar muss aus Rohstoffen ebenso zusammengebaut werden wie das erste.
Bei materiellen Objekten macht eine Abschreckung vor der Benutzung Sinn, weil weniger Gegenstände zu kaufen auch bedeutet, dass weniger Rohstoffe und Arbeit gebraucht werden, um sie herzustellen. Es stimmt, dass es gewöhnlich auch Anfangs- und Entwicklungskosten gibt, die über die ganze Produktion verteilt werden. Aber so lange wie die Kosten des Duplizierens bedeutsam sind, bedeutet das Hinzufügen von Entwicklungskosten keinen qualitativen Unterschied. Und es erfordert keine Einschränkung der Freiheit des normalen Nutzers.
Dagegen ist das Auferlegen eines Preises für etwas, das ansonsten kostenfrei ist, ein qualitativer Unterschied. Eine zentral auferlegte Gebühr auf die Softwareverbreitung wird ein mächtiges Abschreckungsmittel.
Zudem ist die zentrale Produktion, wie sie jetzt praktiziert wird, selbst als Mittel zur Verbreitung von Softwarekopien ineffizient. Dieses System beinhaltet das Einpacken physikalischer Disketten oder Bänder in überflüssige Verpackungen, das Verschiffen einer großen Anzahl davon rund um die Welt und ihre Lagerung für den Verkauf. Diese Kosten werden als Spesen des Handels präsentiert; in Wahrheit sind sie Teil einer Verschwendung, die dadurch verursacht ist, dass es Eigentümer gibt.
Beschädigung des sozialen Zusammenhalts
Angenommen Sie und Ihre Nächste oder Ihr Nächster finden ein bestimmtes Programm nützlich. In ethischer Sorge um Ihre Nächste oder Ihren Nächsten sollten Sie meinen, dass ein ordentlicher Umgang mit der Situation Ihnen beiden die Nutzung ermöglichen wird. Ein Vorschlag nur einem von Ihnen die Nutzung zu erlauben, und den anderen leer ausgehen zu lassen, ist entzweiend; weder Sie noch Ihre Nächste oder Ihr Nächster sollten ihn für akzeptabel halten.
Wer eine typische Softwarelizenz unterzeichnet, begeht Verrat an seinem Nächsten: „Ich verspreche meinem Nachbarn das Programm vorzuenthalten, so dass ich eine Kopie für mich selbst haben kann.“ Leute die solche Entscheidungen fällen, fühlen inneren psychologischen Druck, sie zu rechtfertigen, indem sie die Wichtigkeit, ihren Nachbarn zu helfen herunterspielen ‑ folglich leidet der Gemeinsinn. Dieser psychosoziale Schaden ist verbunden mit dem materiellen Schaden der dadurch entsteht, dass man von der Nutzung des Programms abgehalten wird.
Viele Nutzer erkennen unbewusst, dass es falsch ist, das Teilen zu verweigern und entscheiden sich deshalb dafür, die Lizenzen und Gesetze nicht zu beachten und die Programme trotzdem zu teilen. Aber oft fühlen sie sich deswegen schuldig. Sie wissen, dass sie das Gesetz brechen müssen, um ein guter Nächster zu sein, aber sie betrachten dennoch das Gesetz als maßgebend und schließen daraus, dass ein guter Nächster zu sein (was sie sind) unanständig oder schimpflich ist. Das ist auch eine Art von psychosozialem Schaden, dem man aber entkommen kann, indem man sich entscheidet, diesen Gesetze und Lizenzen keine moralische Kraft zuzusprechen.
Auch Programmierer erleiden psychosozialen Schaden, weil sie wissen, dass viele Nutzer ihre Arbeit nicht verwenden können. Das führt zu einer Haltung des Zynismus oder der Verleugnung. Ein Programmierer mag voller Enthusiasmus beschreiben, was er an seiner Arbeit technisch toll findet, aber wenn er gefragt wird: „Werde ich sie verwenden dürfen?“, macht er ein langes Gesicht und muss zugeben, dass die Antwort nein ist. Um diese Gefühle der Entmutigung zu vermeiden, ignoriert er entweder dieses Faktum die meiste Zeit oder er nimmt einen zynischen Standpunkt an, um dessen Bedeutung zu verringern.
Seit den Zeiten von Reagan ist der größte Mangel der Vereinigten Staaten nicht technische Innovation, sondern der Wille, gemeinsam für das Gemeinwohl zu arbeiten. Es macht keinen Sinn, ersteres auf Kosten des letzteren zu fördern.
Programme können nicht nach Bedarf angepasst werden
Die zweite Ebene materiellen Schadens wird durch die Unfähigkeit, Programme anzupassen verursacht. Einer der großen Vorteile von Software gegenüber älteren Technologien ist, dass sie so leicht verändert werden kann. Aber die meiste verfügbare kommerzielle Software ist nicht für Veränderungen verfügbar, noch nicht einmal nach dem Kauf. Du musst sie nehmen wie sie ist oder ganz darauf verzichten; sie ist nur als eine Blackbox verfügbar ‑ das ist alles.
Ein ausführbares Programm besteht aus einer Serie von Zahlen deren Bedeutung unverständlich ist. Niemand, nicht einmal ein guter Programmierer, kann einfach die Zahlen ändern, so dass das Programm etwas anderes tut.
Programmierer arbeiten normalerweise mit dem Quellcode eines
Programms, der in einer Programmiersprache wie Fortran oder C geschrieben
ist. Dieser enthält Worte, die die verwendeten Daten und die Teile des
Programms benennen und er beschreibt Operationen durch Symbole wie
+
für die Addition und -
für die Subtraktion. Er
ist so aufgebaut, dass dem Programmierer das Lesen und Verändern des
Programms erleichtert wird. Hier ist das Beispiel eines Programms, das die
Distanz zwischen zwei Punkten in der Ebene berechnet:
float distance (p0, p1) struct point p0, p1; { float xdist = p1.x - p0.x; float ydist = p1.y - p0.y; return sqrt (xdist * xdist + ydist * ydist); }
Was dieser Quellcode genau bedeutet, ist nicht der Punk; der Punkt ist, dass es wie Algebra aussieht und eine Person, die diese Programmiersprache kennt, wird sie aussagekräftig und klar finden. Im Gegensatz dazu ist hier dasselbe Programm in ausführbarer Form, auf dem Rechner, den ich normalerweise verwendete, als ich dies schrieb:
1314258944 -232267772 -231844864 1634862 1411907592 -231844736 2159150 1420296208 -234880989 -234879837 -234879966 -232295424 1644167167 -3214848 1090581031 1962942495 572518958 -803143692 1314803317
Quellcode ist (zumindest potentiell) für jeden Nutzer eines Programms nützlich. Den meisten Nutzern ist es aber nicht erlaubt, eine Kopie des Quellcodes zu haben. Der Quellcode eines proprietären Programms ist normalerweise ein Geheimnis des Eigentümers, damit niemand anders aus dem Programm lernt. Die Nutzer erhalten nur die Dateien aus unverständlichen Zahlen, die der Rechner ausführen kann. Das bedeutet, dass das Programm nur vom Eigentümer geändert werden kann.
Eine Bekannte erzählte mir einmal, dass sie sechs Monate als Programmiererin für eine Bank arbeitete, um ein Programm zu schreiben, das es so ähnlich als kommerzielles Programm bereits gab. Sie ging davon aus, dass sie das Programm leicht an ihre Bedürfnisse hätte anpassen können, wenn sie den Quellcode bekommen hätte. Die Bank war durchaus bereit, dafür zu bezahlen, aber es wurde ihr nicht erlaubt ‑ der Quellcode war geheim. So musste sie sechs Monate zusätzlich daran arbeiten, was zwar das Bruttosozialprodukt erhöhte, aber tatsächlich Verschwendung war.
Das Artificial Intelligence Lab (AI Lab) des Massachusetts Institute of Technology (MIT) erhielt ca. 1977 als Geschenk einen Grafikdrucker von Xerox. Er lief mit freier Software, der wir viele praktische Funktionen hinzufügten. Zum Beispiel informierte der Drucker den Nutzer in dem Moment, in dem der Auftrag fertig war. Wann immer der Drucker Probleme wie Papierstau hatte oder das Papier alle war, wurden alle Nutzer, die gerade einen Druckauftrag geschickt hatten, darüber informiert. Diese Funktion ermöglichte einen flüssigen Arbeitsablauf.
Später gab Xerox dem AI Lab einen neueren, schnelleren Drucker, einen der ersten Laserdrucker. Dieser wurde von proprietärer Software gesteuert, die auf einem separaten Rechner lief, so dass wir die von uns gewünschten Funktionen nicht mehr einfügen konnten. Wir konnten ihn dazu bringen, dass er eine Nachricht schickte, wenn der Auftrag an den Rechner übergeben wurde, aber nicht, wenn er wirklich gedruckt wurde (und das dauerte oft recht lange). Es gab keine Möglichkeit herauszufinden, wann der Auftrag gedruckt wurde, man konnte nur vermuten. Und da niemand informiert wurde, wenn es einen Papierstau gab, dauerte es oft eine Stunde, bis die Störung bemerkt und behoben werden konnte.
Die Systemprogrammierer des AI Lab wären durchaus in der Lage gewesen, diese Probleme zu beheben, vermutlich genauso gut wie die Autoren des Programms. Xerox war aber daran nicht interessiert und entschied sich, uns daran zu hindern, so dass wir die Fehler hinnehmen müssten. Sie wurden nie behoben.
Die meisten guten Programmierer haben solche frustrierenden Situationen erlebt. Die erwähnte Bank konnte es sich leisten, ein von Grund auf neues Programm schreiben zu lassen, aber ein gewöhnlicher Nutzer, egal wie gut ausgebildet, kann nur aufgeben.
Aufgeben verursacht psychosozialen Schaden ‑ am Gefühl der Eigenständigkeit. Es ist demoralisierend in einem Haus zu leben, das man nicht an die eigenen Bedürfnisse anpassen kann. Das führt zu Resignation und Entmutigung, die sich auf andere Aspekte des Lebens ausbreiten kann. Menschen, denen es so geht, sind unglücklich und machen keine gute Arbeit.
Man stelle sich vor, Rezepte würden auf die gleiche Art und Weise wie Software gehamstert werden. Man könnte beispielsweise fragen: „Wie kann ich das Rezept ändern, um das Salz rauszunehmen?“ Und der großartige Chefkoch würde antworten: „Wie können Sie es wagen, mein Rezept, das Kind meines Geistes und Gaumens so zu beleidigen, indem Sie daran herumpfuschen wollen? Sie haben nicht das Recht meine Rezeptur zu ändern und zu versuchen sie zu verbessern!“
„Mein Arzt hat aber gesagt, ich solle Salz vermeiden. Was soll ich machen? Würden Sie das Salz für mich rausnehmen?“
„Ich würde das gerne tun; meine Gebühr beträgt nur 50.000 US-Dollar.“ (Da der Eigentümer ein Monopol auf Änderungen hat, ist die Gebühr tendenziell recht hoch.) „Allerdings habe ich momentan keine Zeit. Ich bin mit einem Auftrag für ein neues Rezept für Schiffszwieback für die Marine beschäftigt. Sie werden in etwa zwei Jahren an der Reihe sein.“
Behinderung bei der Softwareentwicklung
Die dritte Ebene materiellen Schadens betrifft die Entwicklung von Software. Softwareentwicklung ist gewöhnlich ein evolutionärer Prozess, in dem eine Person ein existierendes Programm nimmt und Teile daraus für neue Funktionen umschreibt, und dann werden andere Personen Teile umschreiben, um andere Funktionen hinzuzufügen; in manchen Fällen hielt dies über einen Zeitraum von 20 Jahren an. Inzwischen werden Teile des Programms „ausgeschlachtet“, um den Anfang für andere Programme zu schaffen.
Die Existenz von Eigentümern verhindert diese Form der Evolution. Sie führt dazu, dass man immer wieder von vorn anfangen muss, wenn man ein Programm entwickelt. Anfänger können existierende Programme nicht untersuchen, um zu lernen, welche nützlichen Techniken es gibt oder wie große Programme strukturiert werden können.
Eigentümer behindern auch die Ausbildung. Ich habe intelligente Studenten der Informatik getroffen, die noch nie den Quellcode eines großen Programms gesehen haben. Sie mögen gute kleine Programme schreiben können, aber sie werden nicht die Techniken lernen, die man für große braucht, wenn sie nicht sehen können, wie andere es machten.
In jedem intellektuellen Bereich kann man auf den Schultern anderer größere Höhen erreichen. Aber das ist im Bereich der Software nicht mehr generell erlaubt ‑ man kann nur noch auf den Schultern der anderen Menschen in der selben Firma stehen.
Der damit verbundene psychosoziale Schaden beeinflusst den Geist der wissenschaftlichen Kooperation, der früher so stark war, dass sogar Wissenschaftler zusammenarbeiteten, deren Länder gegeneinander Krieg führten. In diesem Geist haben japanische Ozeanographen, ihr Laboratorium auf einer Insel im Pazifik aufgegeben, sorgfältig ihre Arbeit für die heranrückende US-Marine gesichert und hinterließen eine Nachricht, doch bitte auf alles gut zu achten.
Der Kampf um Profit hat zerstört, was selbst von Kriegen verschont blieb. Heutige Wissenschaftler aus vielen Bereichen publizieren nicht mehr alles, was anderen erlauben würde, die Experimente zu wiederholen. Sie publizieren gerade so viel, um die Leser staunen zu lassen, zu was sie in der Lage sind. In der Informatik ist dies zweifellos der Fall, da die Quellcodes der Programme meist geheim gehalten werden.
Es spielt keine Rolle, wie die gemeinsame Nutzung beschränkt wird
Ich habe beschrieben, was passiert, wenn man die Leute daran hindert ein Programm zu kopieren, zu ändern und darauf aufzubauen. Ich habe nicht angegeben, wie dies verhindert wird, weil das für die Schlussfolgerung keine Bedeutung hat. Ob es durch Kopierschutz, Urheberrecht, Lizenzen, Verschlüsselung, ROM-Karten oder Hardware-Seriennummern zum Einsatz kommt, spielt keine Rolle, wenn es gelingt die Nutzung erfolgreich zu verhindern, fügt es Schaden zu.
Einige Methoden sind bei den Nutzern unbeliebter als andere. Ich denke, dass die Methoden am meisten gehasst werden, die ihr Ziel erreichen.
Software sollte frei sein
Ich habe gezeigt, warum Eigentum an Programmen ‑ die Macht, Änderungen und das Kopieren zu beschränken ‑ kontraproduktiv ist. Seine negativen Wirkungen sind weitreichend und bedeutend. Daraus folgt, dass die Gesellschaft keine Eigentümer für Programme haben sollte.
Anders gesagt: Was die Gesellschaft braucht, ist freie Software. Proprietäre Software ist nur ein schlechter Ersatz. Wenn wir das erreichen wollen, was wir brauchen, dann sollten wir diesen Ersatz nicht fördern.
Vaclav Havel hat uns geraten: “Arbeite für etwas, weil es gut ist und nicht nur weil es eine Chance gibt, damit Erfolg zu haben.” Wer Geschäfte mit proprietärer Software macht, hat Chancen, damit Erfolg zu haben im engen Sinn, aber es ist nicht das, was für die Gesellschaft gut ist.
Warum Leute Software entwickeln
Wenn man das Copyright als Ermunterung zur Softwareentwicklung beseitigt, wird zunächst weniger Software entwickelt werden, aber diese Software wird nützlicher sein. Es ist nicht sicher, ob die Nutzerzufriedenheit insgesamt geringer ausfallen wird. Aber, wenn es so sein sollte oder wenn wir die Zufriedenheit generell steigern wollen, dann gibt es andere Wege, die Entwicklung guter Software zu fördern ‑ wie es auch andere Wege außer Mautstationen gibt, um Straßen zu finanzieren. Bevor ich darüber spreche, wie das getan werden kann, möchte ich zuerst die Frage stellen, wie viel künstliche Ermutigung tatsächlich notwendig ist.
Programmieren macht Spaß
Es gibt einige Arbeiten, die wenige verrichten würden, ohne Geld dafür zu bekommen, Straßenbau zum Beispiel. Es gibt aber auch Bereiche des Studiums und der Kunst, mit denen man kaum reich werden kann und denen sich Menschen zuwenden, weil sie fasziniert davon sind oder den Wert für die Gesellschaft sehen. Beispiele sind die mathematische Logik, klassische Musik und Archäologie oder die politische Organisation von Arbeitnehmern. Leute konkurrieren, mehr betrübt als erbittert, um die wenigen bezahlten Positionen, von denen keine wirklich gut bezahlt ist. Manche zahlen sogar für die Möglichkeit, in diesem Bereich zu arbeiten, wenn sie es sich leisten können.
So ein Bereich kann sich über Nacht verwandeln, wenn sich die Gelegenheit eröffnet, damit reich zu werden. Wenn ein Beschäftigter reich wird, wollen andere die gleiche Möglichkeit haben. Bald werden alle große Summen für eine Arbeit verlangen, die sie bisher aus Vergnügen taten. Einige Jahre später werden alle, die mit diesem Bereich zu tun haben, die Idee, die Arbeit könnte auch ohne große finanzielle Erträge getan werden, für absurd halten. Sie werden den Sozialplanern raten, diese finanziellen Erträge sicherzustellen, indem spezielle Privilegien, Befugnisse und Monopole festgeschrieben werden, die dafür notwendig sind.
Diese Änderung geschah im Bereich Programmierung in den 1980ern. In den 1970ern gab es Artikel über „Rechnersucht“: Nutzer hatten sich angewöhnt, „ständig online am Rechner zu hängen“ und gaben dafür hunderte Dollar pro Woche aus. Es war bekannt, dass die Leute häufig das Programmieren so sehr liebten, dass sie dafür auch das Zerbrechen ihrer Ehe in Kauf nehmen würden. Heute geht man dagegen allgemein davon aus, dass niemand programmieren würde, ohne dafür gut bezahlt zu werden. Die Leute haben vergessen, was sie damals noch wussten.
Wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt als richtig erscheint, dass die meisten Leute in einem bestimmten Bereich nur für eine hohe Bezahlung arbeiten, muss das nicht so bleiben. Die Dynamik der Wandels kann auch in umgekehrter Richtung laufen, sofern die Gesellschaft den Anstoß dazu gibt. Wenn wir die Möglichkeit des großem Reichtums wegnehmen, dann werden die Leute nach einer Weile ihre Einstellung geändert haben und werden wieder eifrig aus Spaß an der Sache in ihrem Bereich arbeiten.
Die Frage „Wie können wir Programmierer bezahlen?“ wird leichter zu beantworten, wenn wir uns klarmachen, dass es nicht darum geht, ihnen ein Vermögen zu zahlen, sondern lediglich ihren Lebensunterhalt zu sichern, was einfacher ist.
Finanzierung freier Software
Institutionen, die Programmierer bezahlen, müssen nicht unbedingt Softwarefirmen sein. Es gibt bereits viele andere Institutionen, die das tun können.
Hardware-Hersteller legen viel Wert auf Softwareentwicklung, auch wenn sie die Nutzung der Software nicht kontrollieren können. 1970 war die meiste ihrer Software frei, weil sie nicht darüber nachdachten, dass man sie auch beschränken könnte. Heute zeigt ihre wachsende Bereitschaft, sich Konsortien anzuschließen, dass sie realisieren, dass das Eigentumsrecht an der Software nicht das ist, was für sie wirklich wichtig ist.
Universitäten führen viele Programmierprojekte durch. Heute verkaufen sie die Ergebnisse häufig, aber in den 1970ern taten sie es nicht. Gibt es einen Zweifel, dass Universitäten freie Software produzieren würden, wenn ihnen nicht erlaubt wäre, die Software zu verkaufen? Diese Projekte könnten durch die gleichen staatlichen Verträge und Gelder unterstützt werden, mit denen heute die Entwicklung von proprietärer Software unterstützt wird.
Heute ist es üblich, dass Forscher an Universitäten Gelder erhalten, um ein System fast bis zur Vollendung zu entwickeln und es dann als „abgeschlossen“ deklarieren, dann eine Firma gründen, die das Projekt tatsächlich zu Ende führt und es wirklich nutzbar macht. Manchmal wird die unfertige Version als „frei“ erklärt; wenn sie gänzlich korrupt sind, erhalten sie statt dessen eine Exklusivlizenz von der Universität. Das ist kein Geheimnis; es wird von allen Beteiligten offen zugegeben. Doch wenn die Wissenschaftler nicht dieser Versuchung ausgesetzt wären, würden sie einfach ihre Forschung machen.
Programmierer, die Freie Software schreiben, können ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Serviceangeboten, die mit der Software zu tun haben, bestreiten. Ich wurde angestellt, um den GNU C Compiler auf neue Hardware zu portieren und um Benutzeroberflächen-Erweiterungen für GNU Emacs zu schreiben (ich mache diese Verbesserungen allgemein zugänglich, sobald sie fertig sind). Ich unterrichte auch Klassen, für die ich bezahlt werde.
Ich bin nicht der einzige, der so arbeitet; es gibt jetzt eine erfolgreiche, wachsende Firma, die so arbeitet. Verschiedene andere Firmen bieten kommerzielle Unterstützung für die freie Software des GNU-Systems an. Das ist der Anfang einer unabhängigen Software-Unterstützung-Industrie ‑ einer Industrie, die wirklich groß werden kann, wenn freie Software weite Verbreitung findet. Sie bietet Nutzern eine Möglichkeit, die bei proprietärer Software im Allgemeinen ausgeschlossen sind, außer für die wirklich Reichen.
Neue Institutionen wie die Free Software Foundation (FSF) können auch Programmierer beschäftigen. Die Stiftung finanziert sich durch das Geld, das die Benutzer für den Versand von Disketten und Bändern bezahlen. Die Software auf den Bändern ist frei, die Käufer können sie also frei kopieren und ändern, trotzdem zahlen viele, um eine Kopie zu erhalten (Freie Software bezieht sich schließlich auf Freiheit und nicht auf den Preis). Einige Nutzer, die bereits eine Kopie besitzen, erwerben ein Band, um einen Beitrag zu leisten. Sie sind einfach der Meinung, dass wir ihn verdient habe. Die Stiftung bezieht auch beträchtliche Spenden von Rechnerherstellern.
Die FSF ist eine gemeinnützige Einrichtung, und ihre Einnahmen wird für die Einstellung von so vielen Programmierern wie möglich aufgewendet. Wenn sie als Geschäft aufgezogen worden wäre und dieselbe freie Software gegen die gleiche Gebühr abgeben würde, würde sie ihrem Gründer ein sehr gutes Leben ermöglichen.
Aber weil die Stiftung eine gemeinnützige Einrichtung ist, arbeiten viele Programmierer für die Hälfte dessen, was sie andernorts erhalten könnten. Sie machen das, weil wir frei von Bürokratie sind und weil sie es gut finden, dass ihre Arbeit in der Nutzung nicht behindert wird. Hauptsächlich tun sie es aber, weil programmieren Spaß macht. Zusätzlich haben Freiwillige viele nützliche Programme für uns geschrieben (mittlerweile melden sich sogar Autoren von technischen Texten als Freiwillige).
Das bestätigt, dass Programmieren, neben Musik und Kunst, eines der faszinierendsten Gebiete ist. Wir müssen also keine Angst haben, dass niemand mehr programmieren möchte.
Was schulden Benutzer Entwicklern?
Es gibt gute Gründe für Softwarenutzer, eine moralische Verpflichtung zur Unterstützung der Entwickler zu fühlen. Freie-Software-Entwickler unterstützen den Nutzer bei seinen Aktivitäten und es ist sowohl fair als auch auf lange Sicht im Interesse des Nutzers, deren Fortbestehen zu unterstützen.
Allerdings trifft dies nicht auf Entwickler proprietärer Software zu, weil Behinderung eher eine Bestrafung verdient als eine Belohnung.
Wir haben folglich ein Paradox: der Entwickler nützlicher Software verdient die Unterstützung der Benutzer, aber jeder Versuch, diese moralische Verpflichtung in eine Forderung zu wenden, zerstört die Basis dieser Verpflichtung. Der Entwickler kann entweder eine Belohnung verdienen oder sie verlangen, aber nicht beides.
Ich glaube, dass ein ethischer Entwickler, der mit diesem Paradox konfrontiert ist, sich so verhalten muss, dass er die Belohnung verdient, aber er sollte auch die Nutzer um freiwillige Zuwendungen ersuchen. Schließlich werden die Nutzer die Entwickler auch ohne Zwang unterstützen, so wie sie auch freie Radio- oder Fernsehstationen unterstützen.
Was ist Softwareproduktivität?
Wenn Software frei wäre, würde es immer noch Programmierer geben, aber vielleicht weniger als heute. Würde das schlecht für die Gesellschaft sein?
Nicht notwendigerweise. Heute gibt es in den Industrienationen weniger Bauern als 1900, aber wir halten das nicht für schlecht für die Gesellschaft, denn die wenigen liefern mehr Nahrungsmittel, als es die vielen konnten. Wir nennen das bessere Produktivität. Freie Software würde viel weniger Programmierer erfordern, um die gleiche Nachfrage zu bedienen, weil die Produktivität der Software auf allen Ebenen steigen würde:
- Breitere Nutzung jedes entwickelten Programms.
- Die Möglichkeit auf bereits bestehenden Programmen aufzubauen, anstatt von Grund auf anzufangen.
- Bessere Ausbildung der Programmierer.
- Keine Anstrengungen um zweimal das gleiche zu entwickeln.
Diejenigen, die diese Zusammenarbeit mit der Begründung ablehnen, dass dann weniger Programmierer gebraucht werden, lehnen eigentlich eine gesteigerte Produktivität ab. Diese Leute akzeptieren aber gewöhnlich die weitverbreitete Auffassung, dass die Softwareindustrie eine gesteigerte Produktivität braucht. Wie kommt das?
„Softwareproduktivität“ kann zwei unterschiedliche Dinge bedeuten: die Gesamtproduktivität aller Softwareentwicklung oder die Produktivität individueller Projekte. Die Steigerung der Gesamtproduktivität ist für die Gesellschaft von Vorteil und der direkte Weg, das zu erreichen, ist, die künstlichen Behinderungen der Zusammenarbeit zu verringern. Aber die Untersuchungen, die sich mit dem Bereich Softwareproduktivität beschäftigen, schauen nur auf den zweiten begrenzten Bereich, in dem eine Verbesserung schwierige technische Fortschritte erfordert.
Ist Konkurrenz unvermeidbar?
Ist es unvermeidbar, dass Menschen konkurrieren wollen, um ihre gesellschaftlichen Rivalen zu übertreffen? Vielleicht. Aber Konkurrenz selbst ist nicht schädlich; schädlich ist der Kampf.
Es gibt viele Möglichkeiten zu konkurrieren. Konkurrenz kann in dem Versuch bestehen, immer mehr zu erreichen, zu übertreffen, was andere getan haben. Es gab beispielsweise in früheren Zeiten eine Konkurrenz im Bereich der Programmiersprache-Assistenten ‑ es war eine Konkurrenz, den Rechner zu den erstaunlichsten Dingen zu bringen oder das kürzeste oder schnellste Programm, das eine bestimmte Aufgabe erfüllt, zu schreiben. Von dieser Art von Konkurrenz kann jeder profitieren, vorausgesetzt dass das Prinzip der Fairness gewahrt bleibt.
Konstruktive Konkurrenz ist genügend Konkurrenz, um die Leute zu großem Einsatz zu motivieren. Einige Leute konkurrieren darin, der Erste zu sein, der alle Länder der Erde besucht hat. Einige geben sogar ein Vermögen dafür aus ‑ aber sie bestechen keine Schiffskapitäne, um ihre Rivalen auf einsamen Inseln stranden zu lassen. Sie sind sich darin einig, dass der Beste gewinnen sollte.
Konkurrenz wird zum Kampf, wenn die Konkurrenten versuchen sich gegenseitig zu behindern, anstatt sich selbst zu verbessern ‑ wenn statt „lasst den Besten gewinnen“ gilt: „Lasst mich gewinnen, ob gut oder nicht.“ Proprietäre Software ist schädlich, nicht weil sie eine Form von Konkurrenz ist, sondern weil sie eine Form des Kampfes unter den Bürgern unserer Gesellschaft ist.
Konkurrenz in der Geschäftswelt ist nicht notwendigerweise Kampf. Wenn zum Beispiel zwei Lebensmittelläden konkurrieren, dann legen sie ihren ganzen Einsatz in die Verbesserung ihrer Abläufe und Waren und nicht in die Sabotage des Rivalen. Darin zeigt sich aber keine besondere Neigung zur Wirtschaftsethik ‑ es gibt hier einfach wenig Raum für einen Kampf, abgesehen von physischer Gewalt. Nicht alle Bereiche des Wirtschaftslebens teilen diese Eigenschaft. Das Zurückhalten von Informationen, die anderen helfen könnten, ist auch eine Form von Kampf.
Die Ideologie der Wirtschaft bereitet nicht darauf vor der Versuchung zu widerstehen, die Konkurrenz zu bekämpfen. Einige Formen des Kampfes wurden durch Kartellrecht, Wahrheit im Werberecht usw. gebannt, aber anstatt das zu verallgemeinern zu einer prinzipiellen Zurückweisung des Kampfes generell, erfinden Verantwortliche neue Formen des Kampfes, die nicht speziell verboten sind. Gesellschaftliche Ressourcen werden in diesem ökonomischen Äquivalent von parteigeistigen Bürgerkrieg verschleudert.
„Warum ziehst Du nicht nach Russland?“
Jeder, der sich in den Vereinigten Staaten für etwas anderes als die extremste Form von Laissez-faire-Egoismus einsetzt, hat diese Anklage schon oft gehört. Sie wird beispielsweise gegen die Befürworter eines nationalen Gesundheitssystems gerichtet, wie man es in jedem anderen Industrienationen der freien Welt finden kann. Sie wird auch denen entgegengehalten, die sich für die öffentliche Unterstützung der Kunst einsetzen, was ebenfalls in entwickelten Nationen selbstverständlich ist. Die Idee, dass die Bürger eine Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl haben, wird in den USA mit Kommunismus gleichgesetzt. Aber wie ähnlich sind diese Ideen wirklich?
Kommunismus, wie er in der Sowjetunion praktiziert wurde, war ein System der zentralen Kontrolle, in dem jede Aktivität, angeblich zugunsten des Gemeinwohls, tatsächlich aber für den Vorteil der Mitglieder der kommunistischen Partei, bevormundet wurde. Kopiergeräte wurden streng überwacht, um illegales Kopieren zu verhindern.
Das amerikanische System des Software-Urheberrechts übt eine zentrale Kontrolle über die Verbreitung eines Programms aus und überwacht das Kopierequipment durch automatische Kopierschutz-Mechanismen, um illegales Kopieren zu verhindern.
Im Gegensatz dazu setze ich mich für ein System ein, in dem die Leute frei über ihr Handeln entscheiden können; und insbesondere die Freiheiten haben, ihren Nächsten zu helfen und die Dienstprogramme, die sie in ihrem täglichen Leben benutzen, zu ändern und zu verbessern. Ein System, das auf freiwilliger Zusammenarbeit und Dezentralisierung beruht.
Wenn wir also Standpunkte in Bezug auf Ähnlichkeiten zum russischen Kommunismus beurteilen sollen, sind es die Softwareeigentümer, die die Kommunisten sind.
Eine Frage der Prämissen
Ich gehe in diesem Papier davon aus, dass ein Softwarenutzer nicht weniger wichtig ist als der Autor, nicht einmal als der Arbeitgeber des Autors. Mit anderen Worten haben ihre Interessen und Bedürfnisse das gleiche Gewicht, wenn wir entscheiden, welcher Weg der beste ist.
Diese Prämisse wird nicht allgemein akzeptiert. Viele behaupten, dass der Arbeitgeber eines Autors grundsätzlich wichtiger ist als jeder andere. Sie sagen zum Beispiel, dass der Zweck von Softwareeigentümern ist, dem Arbeitgeber des Autors den Vorteil geben soll, den er verdient ‑ ungeachtet der Folgen für die Öffentlichkeit.
Es nützt nichts, diese Prämissen beweisen oder widerlegen zu wollen. Beweise verlangen gemeinsame Prämissen. Somit ist das meiste von dem, was ich sage, an die gerichtet, die meine Prämissen teilen oder die zumindest deren Konsequenzen kennen wollen. Für diejenigen, die glauben, dass Eigentümer wichtiger sind als jeder andere, ist dieses Papier schlicht belanglos.
Aber warum sollte eine große Zahl Amerikaner eine Prämisse akzeptieren, die bestimmte Leute über alle anderen erhebt? Teilweise wegen der Überzeugung, dass diese Prämisse Teil der rechtlichen Traditionen der amerikanischen Gesellschaft ist. Einige Leute meinen, dass Zweifel an der Prämisse die Grundlagen der Gesellschaft herausfordert.
Für diese Leute ist es wichtig zu wissen, dass diese Prämisse nicht Teil unserer Rechtstradition ist. Sie war es nie.
So gibt die Verfassung an, der Zweck des Urheberrechts sei „den Fortschritt der Wissenschaft und der praktischen Künste zu fördern.“ Der Oberste Gerichtshof hat in dieser Frage im Verfahren Fox Film vs. Doyal ausgeführt: „Das alleinige Interesse der Vereinigten Staaten und das vorrangige Ziel bei der Verleihung eines [Copyright-]Monopols bestehen in den allgemeinen Vorteilen, die die Öffentlichkeit aus der Arbeit der Autoren ableitet.“
Wir müssen nicht mit der Verfassung oder dem Obersten Gerichtshof übereinstimmen (zu einer Zeit, in der beide die Sklaverei duldeten). Deren Position widerlegt nicht die Prämisse vom Eigentümervorrecht. Ich hoffe aber, dass das Bewusstsein, dass es sich hier um eine ultrakonservative und keineswegs traditionell anerkannten Annahme handelt, ihre Attraktivität schwächen wird.
Schlussfolgerung
Wir mögen annehmen, dass unsere Gesellschaft Nächsten zu helfen fördert; aber jedes Mal, wenn wir jemanden für Obstruktionspolitik belohnen oder sie wegen des Reichtums bewundern, den sie auf diese Weise gewonnen haben, bewundern, senden wir die gegenteilige Botschaft.
Das Hamstern von Software ist eine Form unserer generellen Bereitschaft, das Wohl der Gesellschaft für persönlichen Gewinn zu missachten. Wir können diese Missachtung von Ronald Reagan bis Dick Cheney, von Exxon bis Enron, von gescheiterten Banken bis zu gescheiterten Schulen verfolgen. Wir können es an der Zahl der Obdachlosen und Inhaftierten messen. Der antisoziale Geist nährt sich selbst, denn je mehr wir sehen, dass andere Menschen uns nicht helfen werden, um so mehr scheint es sinnlos, ihnen zu helfen. So verfällt die Gesellschaft in einen Dschungel.
Wenn wir nicht in einem Dschungel leben wollen, müssen wir unsere Haltung ändern. Wir müssen damit anfangen, das Signal zu senden, dass ein guter Bürger jemand ist, der mit anderen angemessen zusammenarbeitet und nicht jemand, der darin erfolgreich ist, von anderen zu nehmen. Ich hoffe, dass die Freie-Software-Bewegung hierzu etwas beitragen wird: wenigsten in einem Bereich werden wir den Dschungel durch ein effizienteres System ersetzen, dass freiwillige Kooperation umsetzt und unterstützt.
Fußnoten
- ↗ Das Wort Frei in Freie Software bezieht sich dabei auf Freiheit, nicht auf den Preis. Der gezahlte Preis für ein Exemplar eines freien Programms mag möglicherweise null sein, er kann aber auch gering oder (eher selten) recht hoch sein.
- ↗ Die Probleme er Umweltverschmutzung und Verkehrsstaus ändern an dieser Schlussfolgerung nichts. Wenn wir Autofahren teurer machen wollen, um es unattraktiver zu machen, denn ist es nicht sinnvoll dafür Mautstationen zu verwenden, welche sowohl zur Umweltverschmutzung als auch zu Staus beitragen. Eine Steuer auf Benzin ist viel besser. Desgleichen ist der Wunsch nach mehr Sicherheit durch Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit nicht relevant; eine frei zugängliche Straße verbessert die Durchschnittsgeschwindigkeit, weil Stopps und Verzögerungen, unabhängig von der Höchstgeschwindigkeit, vermieden werden.
- ↗ Man kann ein bestimmtes Programm als schädlich betrachten, das deshalb auch nicht verfügbar sein sollte, wie etwa der Lotus Marketplace-Datenbank mit personenbezogenen Informationen, die aufgrund öffentlicher Missbilligung aus dem Verkauf genommen wurde. Das meiste, was ich sage, ist nicht auf diesen Fall anwendbar, aber es macht auch wenig Sinn, für einen Softwareeigentümer mit der Begründung, dass der Eigentümer es weniger verfügbar machen wird, zu argumentieren. Der Eigentümer wird es nicht völlig unzugänglich machen, wie man es sich bei einem Programm wünschen würde, dessen Verwendung als destruktiv angesehen wird.
Dieser Aufsatz wurde englischsprachig in Free Software, Free Society: The Selected Essays of Richard M. Stallman veröffentlicht.